Kirche Rossow
  Gespräch
 

Von Gottes Verborgenhe
it

Nikolaus v. Kues

 
Heide: Ich sehe dich hier in großer Hingabe Tränen sehnsüchtiger Liebe weinen ... Sag bitte, wer bist du?

Christ: Ich bin ein Christ.

Heide: Was betest du an?

Christ: Gott.

Heide: Wer ist der Gott, den du anbetest?

Christ: Ich weiß es nicht.

Heide: Wie kannst du so intensiv anbeten, was du nicht kennst?

Christ: Weil ich kein Wissen habe, bete ich an.

Heide: Sonderbar, da sehe ich einen Menschen sich an etwas hingeben, das er nicht kennt.

Christ: Mehr zu verwundern ist, wenn der Mensch einer Sache anhängt, die er nur zu kennen meint.

Heide: Warum?

Christ: Weil er das, was er zu wissen meint, weniger weiß, als das, von dem er weiß, dass er das Wissen nicht hat.

Heide: Erkläre das bitte!

Christ: Ich verstehe unter Wissen das Besitzergreifen von der Wahrheit; wer erklärt, er wisse, behauptet damit, die Wahrheit erfasst zu haben. Aber wie anders als durch sich selbst kann die Wahrheit erfasst werden? Sie kann doch nicht gewonnen werden, wenn ich ihr gegenüber stehe, als könnte ich sie von außen betrachten. Außerhalb der Wahrheit gibt es keine Wahrheit.

Heide: In welcher Weise weiß ich dann, was ein Mensch, was ein Stein und was jedes andere ist, das ich kenne?

Christ: Nichts von all dem weißt du wirklich; du meinst es nur zu kennen. Du kannst nicht die eigentliche Wahrheit des Menschen, ja nicht einmal des Steines ausdrücken. Du weißt zwar, dass der Mensch kein Stein ist, aber das ergibt sich dir nicht etwa aus einem Wissen, in dem du den Menschen und den Stein wirklich verständest. Du unterscheidest die Gestalt, und auf Grund solcher Unterscheidung gibst du verschiedene Namen. 

Heide: Welcher Mensch ist dann wissend, wenn nichts gewusst werden kann?

Christ: Der ist für wissend zu halten, der sich unwissend weiß; aber sich zugleich bewusst ist, dass er ohne die Wahrheit nichts gewinnen kann, weder Sein, noch Leben, noch Einsicht.

Heide: Ist es das, was dich zur Anbetung hingezogen hat:das Verlangen, mit deiner ganzen Existenz in der Wahrheit zu stehen?

Christ: Ja. So verehre ich Gott, als unaussprechbare Wahrheit, die allem Wissen vorausgeht.